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Mediales 2

 

Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein grauenvolles Verbrechen. Und das Geschreibsel vieler Journalisten in Deutschland angesichts dessen ist von so unbeschreiblicher Selbstgefälligkeit, Niedertracht und Verantwortungslosigkeit, dass einem das Kotzen kommt. Hochbezahlte Ignorant/innen, die offenbar um den Alice Schalek-Gedenkpreis wetteifern und viele Zeilen mit ihrer auf Dummheit gegründeten Weltsicht füllen, dabei aber alles, was nicht in deren Schwarzweißbild passt großzügig weglassen, können sich – anders als Journalisten in Russland – nicht damit entschuldigen, dass ihnen Zensur und Verfolgung keine andere Wahl lassen. Mit tumbem Beifall für die Möchtegern-Feldherren unter den deutschen Politikern und Verachtung für jene, die nicht nur von Verantwortung reden sondern sie im eigenen Reden und Handeln realisieren, liefern sie jeden Tag wieder Beispiele für die Erbärmlichkeit ihres gern als „Qualitätsjournalismus“ verkauften Handwerks. Warum muss man zur Washington Post und der Neuen Zürcher Zeitung greifen, wenn man auch Nachrichten lesen möchte, die zwar wahr, aber nicht im Interesse des ukrainischen Botschafters sind? Der Botschafter macht seinen Job als Interessenvertreter ziemlich erfolgreich. Kritischer Journalismus hätte dafür zu sorgen, dass ihm das nicht ganz so leicht gemacht wird. Besseren Journalismus machen, wäre nicht einmal schwer. Man könnte ja einfach bei den richtig guten Kollegen im Ausland abschreiben. Das wäre immerhin ein Anfang. Wenn dann noch Herr Hofreiter und seine Spießgesellen an die Front in der Ukraine zögen, um dort ihre kriegerischen Bedürfnisse zu befriedigen, wäre das ein schöne Geste. Die Bundeswehr sollte in diesem Fall nicht zimperlich sein und jedem von ihnen eine Infanteristen-Ausrüstung spendieren. Das Eiserne Kreuz, das scheint manchen Anwärter/innen  nicht klar zu sein, ist allerdings nicht mehr zu haben.

 

Für die Süddeutsche Zeitung berichten am 23. April 2022 Paul-Anton Krüger und Henrike Roßbach vom FDP-Parteitag und der dortigen Diskussion um den Krieg in der Ukraine und die deutschen Hilfen für das Land. Der Tiefstpunkt des insgesamt wenig inspirierten Werkleins ist dies: Vielleicht ist es einfach sehr deutsch, der Ukraine mit Paragraf 37 Absatz 1 Satz 4 der Bundeshaushaltsordnung helfen zu wollen; mit einer „außerplanmäßigen Ausgabe“, in Haushälterkreisen liebevoll „apl.“ genannt.

 

Wenn die Autorin und der Autor wüssten, wie unbeschreiblich dumm das ist, was sie da fabriziert haben, würden sie sich wünschen, aus Scham ganz tief im Boden versinken zu können. Für Journalisten der SZ: Putin hat es unterlassen, die deutsche Bundesregierung rechtzeitig vor den Haushaltsberatungen zu unterrichten, dass er einen Krieg gegen die Ukraine beginnen wird. Die Bundesregierung konnte deshalb nicht ein paar Milliarden Euro im Haushaltsplan vorsehen, um damit Hilfe für die Ukraine bezahlen zu können. Über den Haushalt zu beschließen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines Parlaments (auch wenn Journalisten der SZ möglichst deftiges Geschwätz im Plenum dem vorziehen mögen). Wenn etwas nicht im beschlossenen Haushaltsplan steht, dafür aber trotzdem Geld ausgegeben werden soll, ist das eine außerplanmäßige Ausgabe. Um den Terminus zu verstehen, muss man eigentlich kein Finanzfachmann sein. Aber auch nicht total blöde. Und was daran besonders deutsch sein soll? Es ist wohl einfach eine verpatzte Pointe. Genauer will ich das lieber nicht wissen.

 Nicht alles, was an Unfug in Zeitungen steht,ist allerdings von Journalisten verzapft. Man kann sich ja auch Gastschreiber holen, wie es für die Ausgabe vom 25. April 2022 die New York Times getan hat. In einem Guest Essay erklärt dort der Ex-Ministerpräsident Dänemarks, Ex-NATO-Generalsekretär und aktive Goldman-Sachs-Berater Anders Fogh Rasmussen, wie man den Krieg in der Ukraine ganz schnell beenden könnte: But if Germany ended all import of Russian oil and gas, Mr. Putin would be forced to quickly stop the war in Ukraine.

 Für diese Einschätzung liefert Rasmussen so unbestreitbare Gründe wie vor neunzehn Jahren für den Krieg gegen den Irak, als er (wie die Regierung G. W. Bush in den USA) auf die unbestreitbar vorhandenen irakischen Massenvernichtungswaffen verwies, die sich allerdings bis heute nicht finden ließen. Dass im Zentralorgan der Wokeness bei einem so wichtigen Thema einer so trüben Figur wie Rasmussen Platz eingeräumt wird, macht einem schon Sorgen. Ließ sich denn wirklich niemand finden, der mehr Ahnung und weniger Dreck am Stecken hat?

 Leider sind die Fehlleistungen eines abgetakelten dänischen Politikers im Vergleich mit dem, was viele (aber wohlgemerkt: nicht alle) deutschen Politiker so von sich geben, gar nicht mehr so außergewöhnlich. Unter der Überschrift „Ein deutsches Trauerspiel“ hat in der Frankfurter Allgemeinen vom 23. April 2022 Nikolaus Busse die innerdeutsche Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine so charakterisiert: Sie wurde zu einer aktivistischen Kampagne, getrieben von zu kurz gekommenen Ampelpolitikern, die im Wesentlichen die Forderungen der Ukraine übernahmen. Deren (berechtigte) Interessen sind aber nicht deckungsgleich mit den deutschen. Der Bundesjustizminister und der Oppositionsführer steuerten noch das Argument bei, Waffenlieferungen seien völkerrechtlich kein Kriegseintritt. Es fehlte nur der Hinweis, Putin stehe ja der Klageweg in Karlsruhe offen. Das trifft es ziemlich gut.

 

3. Mai 2022. Sie sind alle noch da: Der grüne Waffenexperte, die freidemokratische Kriegsfurie, der pöbelnde Botschafter und die ihnen applaudierenden Journalisten. Immerhin, es gab in der Süddeutschen Zeitung einen umfangreichen Gastbeitrag von Jürgen Habermas; es gab auch Berichte über die von Alice Schwarzer in Emma gestartete Unterstützungsaktion für einen Offenen Brief an den Bundeskanzler, der inhaltlich in die gleiche Richtung weist. Die Unterzeichner werden kübelweise mit Dreck beworfen von den die öffentliche Meinung beherrschenden Bestmenschen, die sich offenbar weiter daran begeistern können, welche hassverzerrte Kriegerfresse ihnen aus dem Spiegel entgegen sieht. Die gute Nachricht ist, dass laut Umfragen ungefähr die Hälfte der Deutschen die als zögerlich kritisierte Haltung des Bundeskanzlers positiv bewertet.

 

In der New York Times vom 1. Mai und der Washington Post vom 2. Mai war zu lesen, dass es sich bei dem als Geist von Kiew bekannt gewordenen Jagdflieger-Superhelden, dessen angebliche Identität zwei Tage zuvor von der Londoner Times „enthüllt“ wurde, um eine Erfindung handelte. Kriegspropaganda halt. In der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen habe ich dazu noch nichts gelesen. Wahrscheinlich mein Fehler. Allerdings habe ich auch im März nur in den genannten amerikanischen Zeitungen über die Verstöße der Ukraine gegen die Haager Konvention (betreffend Rechte von Kriegsgefangenen) gelesen. Von der einfallsreichen Aktion, den Müttern gefallener russischer Soldaten Fotos von den Leichen ihrer Söhne zu schicken, habe ich durch einen längeren und offenbar gut recherchierten Bericht in der Washington Post vom 14. April erfahren. Darin wird auch eine Londoner Expertin, Stephanie Hare, zitiert, die davor warnt, mit dieser Art der psychologischen Kriegsführung neue Standards zu setzen. If it were Russian soldiers doing this to Ukrainian mothers, we might say “Oh my God, that’s barbaric.” --- Das dürfte auch der Grund sein, warum unsere Qualitätsjournalisten ihren Lesern derlei Fakten vorenthalten. Die könnten ja denken, in diesem Krieg sei Barbarei kein ausschließlich russisches Problem.

 

 

4. Mai 2022. Ich habe etwas übersehen, nämlich den Beitrag von Hilmar Klute in der Süddeutschen Zeitung (online) von vorgestern. Die Diskussionsunkultur betreffend Krieg in der Ukraine wird hier in klaren Worten thematisiert, und dies aus Anlass des Geschreis über Habermas, Schwarzer und all jene, die in den letzten Tagen und Wochen eine nicht dem journalistischen Mainstream entsprechende Meinung geäußert haben. Ein Auszug, betreffend die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags, der jetzt wohl so heißt, weil man sich gegen ihn verteidigen muss:

Warum nun wird von Leuten, die sich in der jüngeren Vergangenheit weder erkennbar für die Ukraine interessiert noch groß um Putins Allmachtsfantasien geschert haben, plötzlich so kräftig in die Trompete geblasen? Wann zuletzt hat man eine derart unverstellt brutale und hohnlachende Verachtung von Intellektuellen erlebt? Man kommt ins Schaudern bei der Entschiedenheit, mit der angesichts schwerwiegendster geopolitischer Entscheidungen kontroverse Ansichten durch Häme abgebunden werden. Zweifel am Sinn von Panzerlieferungen gelten als Verrat am ukrainischen Volk, eine andere Lesart scheint gar nicht mehr zulässig zu sein.

Strack-Zimmermann hat die eiskalte neue Schneidigkeit zum politischen Geschäftsmodell erhoben. Sie ist bei allem, was sie sagt und tut, von Zweifeln derart unbeschwert, dass sie am Abend der Bundestagsentscheidung eine Karikatur postet, auf der sie als Jeanne d'Arc mit einem "Waffen für die Ukraine"- Schild im Kanzleramt steht und Scholz' Sekretärin ins Telefon seufzen lässt: "Strack-Zimmermann beharrt eisern auf Einlass." Mit einem "Augenzwinkern", twitterte die Politikerin unter die Zeichnung, verabschiede sie sich hiermit in den Feierabend. Die stramme moralische Selbstgewissheit schützt sie davor, ihre Lässigkeit als zynisch empfinden zu müssen.

In einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen vom 3. Mai fordert Reinhard Müller schon in der Überschrift Mehr Respekt für Deutschland. Erfreulich. Welch peinliches Bild es ist, wenn so viele Mitgestalter der veröffentlichten Meinung aus Gründen der Abneigung gegen Person und Politik des Regierungschefs jede Pöbelei durch einen aus der Rolle fallenden Botschafter und den Affront eines auswärtigen Staatspräsidenten gegen das deutsche Staatsoberhaupt beklatschen, wird hier deutlich gesagt. Ich bin kein Freund der ewig hervorgekramten „Lehren aus der deutschen Geschichte“, aber die Versagung des Respekts vor demokratisch legitimierten Amtsinhabern gehört wirklich nicht zu den besten Teilen des geschichtlichen Erbes.

Gleichfalls in der FAZ ruft heute, 4. Mai, Nikolas Busse ins Gedächtnis: Auch der Westen hat Atomwaffen. Schon richtig, aber leider in dieser Plattheit auch kein Grund zur Beruhigung. Für die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen spielt z. B. auch eine Rolle, um welche Waffen es geht (etwa interkontinental mit ballistischen Raketen ins Ziel zu bringende Wasserstoffbomben oder nuklear bestückte „Gefechtsfeldmunition“, die von Haubitzen verschossen werden kann). Soweit mit Westen die USA gemeint sind, ist das Arsenal tatsächlich reichlich gefüllt, aber bekanntlich sind diese Waffen nicht alle der NATO unterstellt. Busse beklagt in seinem Artikel selbst die defensiven Signale der USA gegenüber Russland. Putin könne das als Zeichen der Schwäche deuten. Nun ist ein Problem bei der ganzen furchtbaren Geschichte, dass keiner weiß, was Putin wie deutet – und schon gar nicht, welche Schlüsse er daraus zieht. Da ich es gerade mit Geschichte habe: Die sich aus der Einführung „kleiner“ Nuklearwaffen ergebende Gefahr für die den Kalten Krieg prägende Formel von der „mutual assured destruction“ (und damit die Wirksamkeit der gegenseitigen Abschreckung) wurde schon vor einem halben Jahrhundert diskutiert. Meines Wissens nicht mit dem Ergebnis, dass man sich keine Sorgen machen müsse.

 

23. Mai 2022. In der Ukraine werden weiterhin jeden Tag Menschen umgebracht, und in Berlin schreiben die Horden gesinnungsfester Mainstream-Journalisten weiter ihre Propaganda-Artikel, als müssten sie sich damit für irgendwelche Orden empfehlen. Ein drittrangiger Politiker hat dem Bundeskanzler Defaitismus unterstellt, und WEB.DE liefert das heute als Meldung mit großer Überschrift. Ich gebe zu: Außer der Schlagzeile habe ich nichts von dem Zeug gelesen, weil mir auch so von den sprachlichen Ausscheidungen der selbsternannten Qualitätsjournalisten schon schlecht wird. Gut möglich freilich, dass sich die dem pöbelnden Botschafter und der forschen Ausschuss-Vorsitzenden zujubelnden Schreiber alle zur Elite ihres Berufsstands zählen. Und im imaginierten Schützengraben zählt ohnehin nur das verbindende Fronterlebnis aller Kriegsgeheulerstatter.

Es geht allerdings auch anders. Für die Neue Zürcher Zeitung hat Ivo Mijnssen den aus der Ukraine stammenden und an der Baylor University in Waco, Texas, lehrenden Politologen Serhi Kudelia befragt. Das Interview wurde am 11. Mai veröffentlicht unter der Überschrift „Je länger der Krieg dauert, desto stärker ist die ukrainische Demokratie bedroht.“ Es kommen darin nicht nur die herausragenden Leistungen des ukrainischen Präsidenten seit Kriegsbeginn sondern auch dessen autokratische Neigungen zur Sprache; auch von Versäumnissen seiner Regierung bei der Planung von Zivilschutz und Verteidigung angesichts erkennbarer Kriegsgefahr ist die Rede. Kudelia spricht sich dafür aus, dass die EU möglichst bald der Ukraine eine Mitgliedschaft in Aussicht stellt. Es wäre dann möglich, auf die politische Verfasstheit des Landes in demokratischem Sinn Einfluss zu nehmen.

Wer einen Krieg anfängt, sollte zuvor dessen Ziel klar festgelegt haben. In aller Regel entwickelt sich aus der militärischen Auseinandersetzung ohnehin eine Eigendynamik, die nur bedingt politisch steuerbar ist. Seit ein paar Wochen lässt sich das auch im Krieg Russlands gegen die Ukraine immer deutlicher erkennen. Mit den militärischen Erfolgen der von den meisten „westlichen“ Staaten materiell unterstützten Ukraine erscheint nun ein „Sieg“ über den Aggressor möglich, ohne dass dieser konkret definiert wird. Dass es darauf hinausläuft, über dem Kreml die ukrainische Flagge zu hissen, kann es ja wohl nicht sein. Präsident Biden hat in einer seiner ex tempore in die Welt gesetzten Ansprachen einen Regimewechsel in Russland erstrebenswert genannt, woraufhin im State Department alle mit Rückwärtsrudern beschäftigt waren. Nach dem jammervoll in Szene gesetzten Abzug aus Afghanistan mag der US-Präsident sich eine Siegesparade wünschen; aber eine Ausweitung der Kriegsziele führt schnell auch zur militärischen Eskalation.

Die Strategen im Kommandobunker der Washington Post sehen das etwas anders. Sie gehen von der Annahme aus, dass Russland dabei sei, den Krieg zu verlieren, was aber Putin nur noch gefährlicher mache. Am 16. Mai hat das Editorial Board der Zeitung kundgetan, dass die Initiative der Regierungen von Frankreich, Italien und Deutschland, Verhandlungen der Kriegsparteien mit dem Ziel eines baldigen Waffenstillstands zu erreichen, deshalb abzulehnen sind. Their desire to shorten this destructive war […] is understandable. Their promises not to impose terms on Kyiv are undoubtedly well intentioned. Still, the risks of relaxing the pressure on Mr. Putin before he is thoroughly beaten, and maybe not only then, are too high. Da haben die publizistischen Schwergewichte weder sonderlich weit gedacht, noch die Menschen berücksichtigt, die kriegsbedingt krepieren werden, damit irgendwann in der Zukunft das neue Kriegsziel erreicht werden kann.

In der New York Times vom 19. Mai 2022 befindet deren Editorial Board schon in der Überschrift: The War in Ukraine Is Getting Complicated, and America Isn’t Ready. Die Autoren konstatieren den Wechsel in der Wahrnehmung möglicher Kriegsziele. Daran, dass die Ukraine befreit werden müsse, gebe es nichts zu zweifeln, but in the end, it is still not in America’s best interest to plunge into an all-out war with Russia even if a negotiated peace may require Ukraine to make some hard decisions. Deshalb gelte es jetzt zu klären, ob die USA eine Wiederherstellung geregelter Beziehungen mit Russland, einen Sturz Putins, dessen Anklage als Kriegsverbrecher, eine dauerhafte Schwächung Russlands oder was immer anstreben. Without clarity on these questions, the White House not only risks losing Americans’ interest in supporting Ukrainians – who continue to suffer the loss of lives and livelihoods – but also jeopardizes long-term peace and security on the European continent. Für die amerikanischen Wähler sei die Inflation im eigenen Land ein wichtigeres Thema als die Ukraine.

Es müsse Präsident Selenski und seinem Volk deshalb klargemacht werden, dass die Unterstützung durch die USA und die NATO Grenzen habe. Russland sei zu stark, als dass ein Einlenken zu erwarten sei, zumal Putin zu viel persönliches Prestige investiert habe. Auf ukrainischer Seite seien deshalb schwere Entscheidungen zu treffen. Confronting this reality may be painful, but it is not appeasement. This is what governments are duty bound to do, not chase after an illusory “win”. Russia will be feeling the pain of isolation and debilitating economic sanctions for years to come, and Mr. Putin will go down to history as a butcher. The challenge now is to shake off the euphoria, stop the taunting and focus on defining and completing the mission. America’s support for Ukraine is a test of its place in the world in the 21st century, and Mr. Biden has an opportunity and an obligation to help define what that will be.

Das ist die realistischste und klügste Einschätzung zur Entwicklung des Kriegs in der Ukraine, die ich irgendwo und irgendwann in den letzten Wochen lesen konnte.

 

29. Mai 2022. Ein Kommentar von Stefan Kornelius in der heutigen Süddeutschen Zeitung (Online) ist überschrieben mit Putins perfides Spiel. Untertitel: Der Westen wird kriegsmüde, der russische Diktator wittert darin seine Chance – und stellt neue Forderungen. Warum jetzt der falsche Moment für Verhandlungen ist. Und was das für Scholz und Macron bedeutet. Ich will gar nicht wissen, was Herr Kornelius da wieder für einen Meinungsmüll produziert hat. Möge er sich doch endlich der ukrainischen Fremdenlegion anschließen und bei der Fortsetzung des Gemetzels seinen direkten Beitrag leisten. Mir schien früher immer überzogen, mit welcher Verachtung Karl Kraus den (vornehmlich Wiener) Journalismus seiner Zeit – und die ihn erschaffenden Journalisten – betrachtet hat. Die Polemiken lasen sich ja ganz unterhaltsam, aber dahinter steckte ein Ekel, der aus der großen zeitlichen Distanz nicht ganz zu verstehen war. Würde Kraus noch leben, sein Ekel und seine Verachtung wären nicht anders als im Ersten Weltkrieg. Und da gäbe es nichts, was daran unverständlich wäre.

 

3. Juni 2022. Hundert Tage Krieg in der Ukraine. Nachdem kürzlich irgendwelche Verhandlungen mit dem Ziel eines Waffenstillstands in der Ukraine nicht angebracht waren, weil die Russen schwächeln würden und dies Putin um so gefährlicher mache, geht es jetzt gerade nicht, weil die Russen nicht schwächeln würden, was Putin um so gefährlicher mache. Diese Logik ist zwingend. Dass der Bundeskanzler den heute von ihm empfangenen ukrainischen Parlamentspräsidenten in Anzug und Krawatte begrüßte, hat die Süddeutsche Zeitung ausdrücklich festgehalten. Wahrscheinlich wird nun ein Shitstorm das Kanzleramt treffen, denn Scholz hätte sich doch zumindest in einen Bundeswehr-Tarnanzug kleiden können, wie das früher der Verteidigungsminister zu Guttenberg so dekorativ vorgemacht hat. Oder vielleicht in ein Büßergewand?

Die New York Times berichtete am 1. Juni aus der Ukraine (was in diesem Fall mal nicht bedeutete: aus der Propagandaabteilung des ukrainischen Präsidenten), dass manche Einheiten der ukrainischen Armee Motivationsprobleme hätten. Viele Freiwillige hätten sich nach Kriegsbeginn entschlossen, ihre Heimat mit Waffen zu verteidigen, aber es sei ihnen dabei um Heimat im engeren Sinn gegangen, also ihre Heimatregion, nicht die ganze Ukraine. Nun würden sie in Landesteile kommandiert, zu denen sie keinen besonderen Bezug hätten – und deshalb auch eine geringere Motivation, die Invasoren zu bekämpfen und dabei das eigene Leben zu riskieren.

Präsident Putin hat heute den senegalesischen Präsidenten Macky Sall getroffen, der gegenwärtig Vorsitzender der Afrikanischen Union ist. Präsident Sall wird seinen russischen Amtskollegen mehr oder weniger freundlich darauf ansprechen, dass dessen Seeblockade im Schwarzen Meer gerade das Leben von Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent aufs Spiel setzt, indem es Ausfuhren ukrainischen Weizens verhindert. Einem Foto in der New York Times ist zu entnehmen, dass Putin bei dem Treffen in Sotschi seinem Gesprächspartner auf unter zwei Meter Abstand nahegekommen ist. Vermutlich hat einer seiner Sklaven versäumt, den sechs Meter langen Original-Putinbesucher-Abstandstisch aus dem Kreml mitzunehmen.

Dank Youtube hat man die Möglichkeit, Bundestagsdebatten auch dann zu sehen, wenn man nicht die TV-Übertragungen aufgezeichnet (oder sich das Ganze „live“ angetan) hat. Das hat den Vorteil, dass man nicht auf die selektive Wahrnehmung und Wiedergabe durch das journalistische Meinungsfilter angewiesen ist. Man kann auf diese Weise zum Beispiel Frau Weidels rhetorisch schwungvoll vorgetragene, inhaltlich ekelhaft zynische Vermengung der Themen Ukraine-Krieg und Zuwanderung anhören und so feststellen, welch hochkonzentriertes politisches Brechmittel die AfD ist, und zwar ganz ungeachtet irgendwelcher Nazi-Vergleiche. Man kann auch Frau Mohamed Alis so simple wie zutreffende Feststellung hören, dass es dem Gerechtigkeitsempfinden widerspräche, wenn Russland aus dem Krieg gegen die Ukraine irgendwelchen Gewinn ziehen könnte; was aber nichts daran ändere, dass Verhandlungen nur dann zustandekommen könnten, wenn Zugeständnisse der Ukraine nicht vorab bereits komplett ausgeschlossen würden.

In der New York Times vom 31. Mai hat der Gastkolumnist Joseph R. Biden Jr. (die Unterzeile erklärt: Mr. Biden is president of the United States – danke für den Hinweis!) den offiziellen Standpunkt der amerikanischen Regierung erklärt, zu dem es gehöre, dass die Ukraine selbst über ihre Angelegenheiten entscheide. I will not pressure the Ukrainian government – in private or public – to make any territorial concessions, schreibt der Präsident und verkündet, dass die USA der Ukraine weitere Unterstützungen durch militärisches Gerät und etliche Milliarden US-Dollars zukommen lassen werden. Wenn das so, wie er bzw. sein Ghostwriter es niedergeschrieben haben, gelten soll, macht Biden die Vereinigten Staaten freilich abhängig von der Ukraine. Es ist klar, dass die US-Regierung derzeit nicht öffentlich das Gegenteil erklären kann, also dass man durchaus Druck ausüben werde, um Verhandlungen herbeizuführen. Aber in einem solchen Fall könnte man ganz diplomatisch den Schnabel halten. Zumindest dann, wenn man nicht schon öffentlich so viel gefährlichen Unfug geschwätzt hätte, wie Mr. Joseph R. Biden Jr. es getan hat. Der Kurs ist jetzt wieder klar: immer tiefer in den Sumpf.  

 

16. Juni 2022. Der Präsident der Französischen Republik, der Premierminister Italiens und der deutsche Bundeskanzler sind heute in Kiew, um sich die aktuellen Forderungen und Klagen der ukrainischen Regierung anzuhören. Ein paar Fotos für die Nachrichtenmedien werden auch gemacht. Das Weitere bleibt abzuwarten. Klar ist, dass niemand in Europa und selbst die USA nicht in der Lage sind, das zu liefern, was man in Kiew haben möchte. Worin aber nicht das größte Problem liegt. Die New York Times veröffentlichte am 6. Juni einen Bericht unter dem Titel Potent Weapons Reach Ukraine Faster Than the Know-How to Use Them. Darin wird beschrieben, dass längst mehr schwere Waffen in die Ukraine geliefert werden, als dort an entsprechend geschultem Personal bereitsteht, um diese Kriegsgeräte einzusetzen; was nicht zuletzt daran liege, dass die US Army keine Einweisungen für ukrainische Soldaten vor Ort anbiete. Dafür gibt es den guten Grund, dass die US-Regierung vermeiden möchte, in der Ukraine direkte militärische Unterstützung zu leisten und dadurch Kriegspartei zu werden. Ein weiteres, wenig beachtetes Problem bei der Nutzung amerikanischer Kriegsgüter bestehe darin, dass nicht das erforderliche Werkzeug mitgeliefert werde. Da angefangen von simplen Schraubverbindungen viele in den amerikanischen Geräten verbaute Teile nicht im metrischen Format kalibriert sind, macht das Präzisionsarbeiten bei Wartung und Bedienung der Waffen schwer möglich. Es ist erfreulich, dass in der New York Times derlei konkrete Probleme benannt werden, statt sich ausschließlich in moralischem Geheul zu ergehen.

Gleichfalls in der New York Times war am 8. Juni zu lesen, dass es den zuständigen amerikanischen Regierungsstellen an Informationen über die ukrainische Kriegsführung und Strategie fehle. Man wisse besser darüber Bescheid, was sich auf russischer Seite tue, als über den Verbündeten. Das mache es auch schwer, den tatsächlichen Bedarf der Ukraine an bestimmten Waffensystemen abzuschätzen. Erfreut ist darüber in Washington niemand. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass am 11. Juni die ungehaltenen Worte von Präsident Biden über seinen ukrainischen Amtskollegen in den Medien erschienen. Das simple Faktum, dass Selenski die Warnungen der USA vor dem russischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine ignoriert hatte, war ja schon bekannt, gehörte aber zu den peinlichen Sachen, über die man in der Öffentlichkeit lieber nicht redete. Gelegentlich haben Bidens Abschweifungen vom Text auch positive Ergebnisse.

Am 13. Juni befasste sich die New York Times mit den Problemen der Europäer bezüglich Russlands Krieg. On Russia, Europe Weighs Competing Goals: Peace and Punishment. In diesem Bericht werden die unterschiedlichen Positionen innerhalb der EU angesprochen; und dies, ohne binnen weniger Zeilen zum hundertsten Mal den Standpunkt der Woke-Fraktion als einzig annehmbaren anzupreisen. Um für das Gute und gegen das Schlechte einzustehen, gab es vor unglaublich langer Zeit die Welt im Spiegel in Pardon. Heute macht das die Süddeutsche Zeitung. Ist dort nur leider nicht komisch. Ganz brandaktuell verkündet das Blatt zum heutigen Besuch des Bundeskanzlers in der Ukraine: Die Erwartungen an Scholz' Reise waren hoch. Das Ergebnis ist gut, aber nicht perfekt. Welche Überraschung! Wo wir doch alle wissen, dass "perfekt" nur die Redakteure der SZ sind.

Was es sonst noch gab: Der in Berlin als Botschafter der Ukraine residierende Lautsprecher wurde jetzt auch von der Washington Post interviewt. Ich hätte darauf verzichten sollen, den Mist zu lesen, aber ich denke halt, man sollte auch die andere Seite zur Kenntnis nehmen. Okay, die WP hat sich damit keinen Pulitzer-Preis verdient und über zu den Ausführungen des Botschafters lässt sich nur sagen, dass der Mann immer noch nicht stubenrein geworden ist.

  

24. Juni 2022. Ausschließlich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. Juni fand ich eine Meldung zum Thema Ukraine zerstört russische Erdölraffinerie mit Kamikaze-Drohne. Es wird darin bejubelt, dass eine ukrainische Drohne unbemerkt 170 km weit geflogen ist, um dann durch den gezielten Absturz schwere Sprengschäden an einer Ölraffinerie zu verursachen. Ein Foto aus russischen Quellen zeigt eine beschädigte industrielle Anlage (aber keine zerstörte Raffinerie). Das Rätsel besteht für die NZZ darin, den Typ der gleichfalls fotografisch erfassten Drohne zu ermitteln. Nun könnte man sich fragen, ob der gezielte Angriff auf eine zivile Anlage in Russland wirklich positiv zu bewerten ist, stellt er doch eine klare Eskalation der ukrainischen Kriegsführung dar. Man könnte sich auch wundern, dass per Zufall ein sich schnell bewegender, nicht besonders großer Flugkörper kurz vor dem Einschlag im Ziel fotografiert wurde. Aber am meisten muss es einen erstaunen, dass ausgerechnet die NZZ diese tendenziell der russischen Seite dienende Meldung in die westliche Welt trägt.

 In der Süddeutschen Zeitung kommentierte Tomas Avenarius am 23. Juni den Stand der Dinge zusammengefasst so: Die Chance, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt, tendiert gegen Null. Die von Russland geplante Blitzoperation in der Ukraine hat sich zur Abnutzungsschlacht entwickelt. Das bedeutet, dass das Gemetzel wohl erst endet, wenn einer der beiden Gegner im Wortsinn ausgeblutet ist. So, wie es derzeit aussieht, wird das eher die Ukraine sein und nicht Russland. Ist es Zufall, dass dieser Kommentar zu dem Zeitpunkt kommt, wo der Bundeskanzler gegen alle Vernunft den militärischen Sieg der Ukraine als Politikziel benennt? Nach dem Meinungsschwenk des Regierungschefs schwenkt die Meinungsseite der SZ notwendigerweise auch. Man muss schließlich „kritisch“ bleiben.

Avenarius‘ Ausführungen sind durchweg nachvollziehbar. Er erwähnt auch das Dilemma des ukrainischen Präsidenten, der sich durchaus klar darüber sein kann, dass eine militärische „Lösung“ des Konflikts im Interesse der Ukraine nicht zu erwarten ist, der aber derlei Defätismus nicht öffentlich äußern darf. Avenarius beschreibt wahrscheinlich zutreffend die Verfassung der ukrainischen Soldaten: Längst mehren sich die Klagen ukrainischer Frontsoldaten über fehlende Waffen und Munition. Es gibt jetzt nicht mehr nur gefeierte Helden, sondern auch von der Mangelwirtschaft an der Front frustrierte Soldaten. Sie wollen nicht zu Kanonenfutter werden. Die Ersten desertieren. Mit moderneren Waffen allein ist da nicht viel geholfen, zumal wenn deren Einsatz unumgänglich auch zur Zerstörung ukrainischer Städte und Dörfer beiträgt.

 Wenn es darum geht, sich als militärischer Laie ein paar allgemeinverständliche Informationen zu Fragen der Bewaffnung, der Strategie usw. zu verschaffen, sind die auch auf YouTube zugänglichen Videos des österreichischen Bundesheers eine gute Quelle. Die Bundeswehr macht ähnliche Angebote, bevorzugt es dabei aber, uniformierte Öffentlichkeitsarbeiter/innen der Streitkräfte Interviews mit hochrangigen Offizieren führen zu lassen. Das wirkt gelegentlich etwas krampfig, selbst wenn der Interviewte ein so lockerer Plauderer ist wie der Inspekteur des Heeres. Vielleicht wäre mancher Blödsinn aus Zeitungsredaktionen vermeidbar, wenn die Journalisten diese Angebote nutzen würden.

 

 

4. Juli 2022. Die Reihe der Nachrichten wurde in der New York Times heute so eröffnet: As a City Falls, Ukraine’s Last Hope in Luhansk Province Falls With It. Die Einnahme von Lissitschansk sei ein Meilenstein für Russlands Bemühungen, die Donbas Region zu erobern. Im Westen verstärke sich der Druck, die Ukraine mit stärkeren Waffen zu versorgen. But the war’s economic costs have made unity among allies difficult to sustain. Wie in solchen Situationen üblich, gibt es andernorts auch weniger dramatische (und vermutlich weniger angemessene) Beschreibungen des Geschehens. Die Süddeutsche Zeitung meldet: Selenskij bestätigt Armeerückzug aus Lyssytschansk. Der ukrainische Präsident sagt aber auch: "Die Ukraine gibt nichts verloren." Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt: Die ukrainischen Truppen können den russischen Vormarsch im Gebiet Luhansk im Osten des Landes derzeit nicht stoppen. In den letzten Juni-Wochen hatte das Militär die Stadt Sewerodonezk aufgeben müssen, nun meldete der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu die komplette Eroberung von Lyssytschansk, beide Großstädte sind nur durch einen Fluss von einander getrennt. Kiew bestritt den Verlust der Stadt zunächst, meldete aber später den Rückzug der ukrainischen Truppen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, es könne sein, dass man sich manchmal aus gewissen Gebieten zurückziehen würde, um sie später wieder zu erobern. „Für Ukrainer hat der Wert menschlichen Lebens oberste Priorität.“  Die treusten Freunde hat die ukrainische Staatsführung unter den Redaktoren (so heißt das in der Schweiz) der Neuen Zürcher Zeitung:

Lisitschansk in der Ostukraine ist gefallen.

Das ist passiert: Nach der Einnahme von Lisitschansk kontrolliert Russland jetzt die ganze Region Luhansk. Kiew bestätigte am Abend, dass es die Stadt aufgeben musste, die vor dem Krieg etwa 100 000 Einwohner hatte. Die Armee hatte sich offenbar zuvor zurückgezogen, um der Einkreisung zu entgehen.

Darum ist es wichtig: Wahrscheinlich wird Moskau die Einnahme als wichtigen Etappensieg verkaufen und als Zeichen dafür, dass sich das Blatt im Krieg wende. Aber davon kann noch kein Rede sein. Unter grossen Verlusten beider Seiten haben die Russen im Juni nach Schätzungen einen Geländegewinn von 0,3 Prozent erzielt. Was wie ein Bewegungskrieg aussieht, ist tatsächlich eine Folge von artilleristischen Abnützungsschlachten mit minimalen Gebietsgewinnen.

Dem Leser fällt an dieser Stelle freilich auf, dass die Argumentation eine Schwäche hat: Eine geringe Bedeutung der aktuellen Frontbewegungen damit zu begründen, welch geringe Gebietsgewinne die russische Armee im Vormonat erkämpft hat, überzeugt nicht. Dass die Neue Zürcher Zeitung an anderer Stelle eine respektable Zeitung ist, ändert doch auch nichts daran, dass sie sich im Bereich ihrer Kriegsberichterstattung als arges Käsblatt erweist.

Ein interessanter Bericht über die aktuellen Diskussionen zum russischen Krieg gegen die Ukraine erschien am 2. Juli in der Washington Post unter dem Titel: As Ukraine war bogs down, U.S. assesments face scrutiny. Nachdem die USA seit dem Beginn der Kampfhandlungen im Februar bereits 6,9 Milliarden Dollar für die Unterstützung der Ukraine ausgegeben haben, wachsen insbesondere unter den Politikanalytikern und -beratern wohl langsam die Zweifel, ob Art und Umfang der Unterstützung für die Ukraine angemessen sind. Mit ihren Prognosen zu Afghanistan hat die Zunft ja kein Beispiel für Kompetenz abgeliefert; und jetzt sei man im US-Militär zwar eifrig mit gegenseitigem Schulterklopfen beschäftigt, verkenne aber die Situation. Es fehle der ukrainischen Armee zunehmend an qualifizierten Soldaten und Offizieren. Wenn man dies wenigstens halbwegs ausgleichen wolle, müsse die Unterstützung durch Lieferungen von Waffen modernster Bauart (inklusive reichlich Munition) und damit verbundene Serviceleistungen (beginnend bei der Ausbildung der Soldaten) deutlich erhöht werden. Wie weitgehend die Politik das unterstützen wird, ist eine offene Frage. Derzeit herrscht ein in der US-Politik der letzten Jahre seltener Konsens, einen Sieg Putins zu verhindern. Aber wie lange bleibt das so, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich deutlich verschlechtern?

Das ZDF hat sein übliches „Sommerinterview“ mit dem Bundespräsidenten geführt, der zum Thema Ukraine laut WEB.DE sagte: „Wir müssen die Ukraine in eine Lage versetzen, in der sie etwas zu verhandeln hat.“ Das ist mit präsidialer Wolkigkeit formuliert, trifft inhaltlich aber ganz gut das Problem. Steinmeier sagte in dem Interview, dass Kriege am Verhandlungstisch beendet würden; eine Auffassung, der sich nicht jede und jeder anschließen mag. Angesichts eines neuen öffentlichen Aufrufs, für die Ukraine einen Waffenstillstand anzustreben, haben manche Schreibtisch-Krieger ausgeführt, Waffenstillstands-Vereinbarungen würden keinen Krieg beenden. Nun wird sich in diesem Monat der Abschluss des Waffenstillstands zwischen Nord- und Südkorea zum 69. Mal jähren. Einen Friedensvertrag gibt es für Korea bis heute nicht. Der berühmte amerikanische General Douglas MacArthur hatte damals eine Alternativlösung vertreten, die den Abwurf von Atombomben auf mehrere nordkoreanische Städte vorsah. Wahrscheinlich hatte er dafür auch von einigen Journalisten Applaus bekommen.

Jener ist auch noch da: Der Lautsprecher unter den in Deutschland akkreditierten Botschafterinnen und Botschaftern hat (erneut) seiner Wertschätzung für den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera Ausdruck verliehen, der im Zweiten Weltkrieg mittelbar für Verfolgung und Ermordung einer großen Zahl jüdischer und polnischer Menschen verantwortlich gewesen sein soll. Es scheint unter den Historikern einen breiten Konsens zu geben, dass diese Vorwürfe zutreffen und Bandera nicht zu den Lichtgestalten der ukrainischen Geschichte gehört. Nachdem die Äußerungen des Botschafters zu unerfreuten Reaktionen in Israel und Polen geführt hatten, distanzierte sich das ukrainische Außenministerium von ihnen, freilich nicht von ihrem Urheber.

 

 

5. Juli 2022. Während hierzulande die redaktionellen Hobby-Strategen jeden angeifern, der nicht für die Ukraine den Kampf bis zur letzten Patrone wünscht (es aber natürlich vorzieht, den Opfern seiner Tapferkeit beim Krepieren nicht solidarisch Gesellschaft zu leisten), schreibt in der Washington Post Michael O’Hanlen, ein Verteidigungsexperte der Brookings Institution, einen Meinungsartikel mit dem Titel: Everyone’s talking about the endgame in Ukraine. Here’s how it might look. Der erste Absatz lautet: The Ukraine war is killing hundreds of people every day, exacerbating world hunger, driving up gas prices and inflation rates, and threatening escalation between Russia and the West. It must brought to an end es soon as possible. That task will be difficult, to be sure – but we have to try. Der Autor spricht sich für einen Waffenstillstand aus, der die aktuelle Frontlinie zunächst als Grenze akzeptiert und – wahrscheinlich langwährende – Verhandlungen ermöglicht. Dies dürfe der Ukraine nicht diktiert werden.  Eine Möglichkeit für die anzupeilende langfristige Lösung wäre die Abhaltung von Referenden in den von Russland eroberten Gebieten. Dies allerdings erst in ein paar Jahren, wenn wieder normalere Zustände eingekehrt sind. Ein Aspekt dabei sei die Chance, dass bis dahin womöglich nicht mehr Putin Russland regiert und ein Nachfolger weniger mörderisch gesinnt ist. Dieser Gedankengang ist für die Hirnersatzprodukte, die viele deutsche Journalisten in ihren sonst recht leeren Köpfen haben, vermutlich zu komplex. Aber da ist leider Hopfen und Malz verloren. O’Hanlen schließt mit dem Absatz: To be sure, even with some mix of the above ideas, negotiating specifics would be very difficult. But a framework could in theory be proposed and debated in the coming weeks and perhaps adopted later in the summer. The alternative – a potentially indefinite continuation of this terrible war – is so bad that we should try, working with President Volodymyr Zelensky of Ukraine, to jump-start the conversation.

Der ukrainische Botschafter soll angeblich abberufen und zukünftig im Außenministerium seines Landes in Kiew beschäftigt werden. Das meldete gestern WEB.DE unter Berufung auf BILD, wobei als sein zukünftiger Posten der eines Vize-Außenministers genannt wurde. Die Süddeutsche Zeitung will gleichfalls von der Personalie erfahren haben, allerdings ohne Angabe des in Aussicht stehenden neuen Aufgabenbereichs. Der Betroffene selbst, sonst bekanntlich ständig von Talkshow zu Interview hetzend und zwischendurch twitternd, scheint zunächst untergetaucht zu sein. Jedenfalls gibt es von ihm noch keinerlei Stellungnahme zu diesem Thema. Wäre natürlich zu schön, wenn seine Regierung ihm endlich Gelegenheit gäbe, sich in die nächstgelegene Schlacht zu stürzen.

 

  

15. August 2022.  In der Washington Post vom 8. Juli schreibt die renommierte Journalistin Amanda Ripley darüber, dass sie – und wohl auch etliche ihrer Kolleginnen und Kollegen – die Nachrichten nicht mehr lesen (I’m a journalist who stopped reading the news. Is the problem me or our product?)

Sie kommt zu dem Schluss, dass die Nachrichten so, wie sie der Kundschaft gegenwärtig angeboten werden, schlichtweg nicht für Menschen angemessen sind. Recht hat sie, und leider ist der Mist, der die Spalten vieler deutschsprachigen Blätter verstopft, keinen Deut besser. Im Interesse der eigenen Gesundheit sollte man deshalb die Nachrichtenlektüre auf das Notwendigste beschränken. Aber der Mist hat einen ja schon süchtig gemacht. Abstinenz ist schmerzhaft. 

Nun gibt es immer wieder Produkte von solch Brechreiz erregender Widerlichkeit, wie man sie sich nicht vorstellen konnte. Zum Beispiel die Fotoreportage mit der ukrainischen Präsidentengattin in Vogue. Die First Lady in sehr dekorativer Garderobe vor Kriegszerstörungen oder händchenhaltend mit dem in das übliche Infanteristengrün gekleideten Staatsoberhaupt. Das wäre alles an Scheußlichkeit schwer zu überbieten, gäbe es nicht im Internet noch die Kommentare derer, die das Ganze schwer in Ordnung finden mit der Begründung, die Ukrainer seien schließlich die Guten. Welch grausiges Schicksal, mit solchem Pack die Nationalität gemein zu haben. 

Wenn man bei der Süddeutschen Zeitung ist, hat man dieses Problem nicht. Da wird heute ein Kommentar so angekündigt: Die Deutschen müssen sich auf einen Winter der Entbehrungen einstellen. Hoffentlich vergessen sie nicht, wer ihnen das eingebrockt hat.

 Ja, die Deutschen. Als ich das las, dachte ich für einen Augenblick, ich sei bei der Neuen Zürcher Zeitung gelandet, aber nein, es war die Süddeutsche. Wahrscheinlich werden in München inzwischen wieder die Nichtbayern als Ausländer, beispielsweise Deutsche, betrachtet. Jedenfalls will man sich mit sowas nicht gemein machen. Frau Merkel sprach immer so huldvoll über „die Menschen“, welche offenbar eine niedere Sphäre bevölkerten, während die Kanzlerin (respektive ihr Astralleib) irgendwo in den Regionen unterwegs war, wo man den Göttern beim Frühsport zusehen kann.

 

Der Fairness halber will ich nicht unterschlagen, dass bei der Süddeutschen Zeitung gelegentlich auch das gemacht wird, wofür manche Leute (wie ich) Geld zu zahlen bereit sind. Da wird also ein Sachverhalt analysiert, das erreichbare Material recherchiert und das Ergebnis den Lesern mitgeteilt, ohne dass in jedem Satz an erster Stelle die Meinung des Redakteurs stünde. Am 26. Juli konnte man also in der SZ nachlesen, warum das mit den Panzerlieferungen an Polen etwas schwieriger ist. Die Dinger sind nämlich gerade nicht auf Lager und die Herstellung kann eine Weile dauern. Schon auf ein Kanonenrohr muss man derzeit länger als ein Jahr warten, weil die Umwandlung von Abfluss- zu Kanonenrohren in der Praxis zu Schwierigkeiten führt.

 

Wenn jetzt noch ergänzt worden wäre, wie das Thema „Ringtausch von Panzern“ von drei in Polen um freundliches Gesprächsklima bittenden Koalitionsabgeordneten aus der Taufe gehoben wurde, ohne zuvor mit irgendwem zu sprechen, der von der Sache auch nur den Schimmer einer Ahnung hatte, dann wäre das eine journalistische Glanzleistung gewesen. Aber für diesen zweiten Teil musste man am 29. Juli die Frankfurter Allgemeine lesen.